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Brauchen wir eine neue Florence Nightingale?

Aktualisiert: 17. Jan. 2020

12. Mai 2018: In jedem Jahr wird der Geburtstag von Florence Nightingale als Internationaler Tag der Pflegenden gewürdigt.

Personalmangel ist kein Problem der heutigen Zeit. Es war schon immer so.
Personalmangel ist kein Problem der heutigen Zeit. Es war schon immer so.

Seit 1970 arbeite ich in der Kranken- und Altenpflege. In den vergangenen 48 Jahren habe ich so manche grundlegende Veränderungen innerhalb des pflegenden Berufs erfahren. Als junger Krankenpfleger und noch weit darüber hinaus, also eigentlich bis zum Jahre 1990, war ich selber regelrecht davon begeistert, was so alles in unserem Beruf besser, ganzheitlicher und vor allem für die uns anvertrauten Menschen hilfreicher gemacht werden konnte und somit besser sein würde. So manche Fortbildung, Weiter- und Fachweiterbildung, hatte da initiale positive und anhaltende Auswirkungen. Es gab dann immer noch Erklärungen warum in unserem Beruf so viel schief läuft und warum wir mit der Arbeit nicht klar kamen. Es wurden richtunggebende Personengruppen für einen andauernden Missstand verantwortlich gemacht. Lange waren es auch die anscheinend weniger motivierten Kolleginnen und Kollegen. Dann schon mal die veralteten baulichen Gegebenheiten. Dann wieder eindeutig die Kostenträger der einzelnen Kranken- Pflegekassen mit ihren schlecht bezahlten und doch sehr hoch angesetzten Leistungen.  In letzter Zeit wird zahlreicher den verschiedensten Trägern der Alten- und Krankenpflege eine Mitschuld an dem kaum noch zu steuernden Alten- und Krankenpflegedesaster gegeben. Auch sollen unsere Berufsverbände, Standesvertretungen und Trägervereine doch nicht einheitliche Steuerungsinstrumente gefunden oder aufgezeigt haben. In dieser Situation versucht jeder sein eigenes „Schäflein“ ins Trockene zu bringen!“ Aktuell sehen wir auch eindeutige Probleme in der politischen Steuerung unseres Berufsstandes.


Den Beruf der anerkannten Krankenschwester gibt es maximal nur in Liebes- oder Arztromanen. Wer will schon in einem schlecht bezahlten Beruf arbeiten? Wer will diese doch intensive Verantwortung dafür übernehmen?

Ratlosigkeit und um sich greifende Chaostheorien verschärfen zusätzlich die aktuelle Situation des eklatanten Mitarbeitermangels in den pflegenden Berufen. Dies haben auch die Medien erkannt und schöpfen hieraus mit List und Tücke ihren Profit ab. Oder ist es zu verstehen, dass ein Herr Günter Wallraff mit seinen Enthüllungen in irgendwelcher Form zu einer dauerhaften und sicheren Lösung der Probleme in den Pflegeheimen führen kann oder wird? Mit Sensationslust kommen wir nicht weiter; hilfreicher wäre die Frage: “Wie konnte das überhaupt passieren?” Überarbeitete, ausgepowerte Mitarbeiter können falsche Entscheidungen treffen, können ihre fehlgeleiteten Handlungen womöglich nicht mehr koordinieren. Wenn unsere Arbeit auf Dauer zum Muss wird, ist die böse Wut nicht mehr weit. Nach der Empörung kommt die Eskalation. Die Politik äußert sich hierzu und ist der Meinung, dass diese Erscheinungen solcher Missstände sich doch mehr im Promillebereich bewegen und somit keine aussagefähige Darstellung für ein einheitliches Bild in den Pflegeheimen darstellt. Nachvollziehbar; denn Gewalt hat nichts in der Pflege und Betreuung zu suchen! Auch nicht unter den jetzigen, verschäften, verdichteten Arbeitsbedingungen. Kein Pardon! Aber wie begegnen wir diesem Problem? Wie schützen wir unsere Mitarbeiter, Bewohner und Patienten? 


Dieser Personalmangel ist kein Problem der heutigen Zeit, nein, schon immer und dies kann ich seit 1970 für das Rhein- Ruhrgebiet so bestätigen. Personalschlüssel gab es bereits, aber diese waren nie üppig. Um überhaupt zusätzliches Fachpersonal zu haben, waren unsere Kollegen Koreaner, Philippinen. Später osteuropäische Fachkräfte und nach dem Mauerfall kamen dann auch Kollegen aus den neuen Bundesländern hinzu. Abgesehen von den vielen wirklich kompetenten und gut deutschsprachigen Fachkräften, entwickelten sich aber auch die absurdesten Personaleinsatzmodelle. Der Eine kann nicht mit dem Anderen, der Andere versteht kaum Deutsch und so Mancher war völlig daneben. Schon damals arbeiteten wir mit vielen nicht ausgebildeten Helfern im Pflegedienst. Hätten wir diese Kollegen nicht gehabt, wäre die Entwicklung in den pflegenden Berufen schon lange am Ende. Sind wir doch mal ehrlich, heute ist es doch immer noch so! Was würden wir ohne unsere Helfer im Pflegedienst machen? Anfänglich gab es auch die berufsbegleitende Ausbildung in der Kranken- Altenpflege. Könnten wir heute eigentlich auch gut wieder flächendeckend im gesamten Pflegebereich gebrauchen! Auch gerade mit dieser Ausbildungsform würden viele Helfer im Pflegedienst zu einem qualifizierten Berufsabschluss kommen.

 

Woran liegt es, dass wir kein ausreichendes Nachwuchspersonal in den pflegenden Berufen haben? Warum verlassen so viele Fachkräfte diesen Beruf auf Dauer? Warum ist der Kranken- und Invalidenstand so hoch?


Florence Nightingale Wikimedia Commons CDV by H Lenthall
Florence Nightingale Wikimedia Commons CDV by H Lenthall

Inzwischen weiß es das ganze Land, den Beruf der anerkannten Krankenschwester gibt es maximal nur in Liebes- oder Arztromanen. Wer will schon in einem schlecht bezahlten Beruf arbeiten? Mit dem Einkommen einer Pflegefachkraft, dies in Vollzeit und mit Nachtzulagen, lässt sich als Alleinverdiener kaum eine Familie ernähren. Wer will diese doch intensive Verantwortung dafür tragen? Wer will in der ständigen Überforderung arbeiten? Heute gibt es kaum noch Menschen wie Florence Nightingale. Florence kam aus gutem und betuchtem Hause, sie hatte für ihren Lebensunterhalt sicherlich nicht arbeiten müssen. Wenn wir nur einen Teil der ihr entgegengebrachten Anerkennung und Wertschätzung auch in die heutige Zeit hätten transportieren können, dann sähe unsere Arbeitswelt eventuell etwas idealer aus.


Wir Pflegenden haben allen Grund stolz auf unseren Beruf zu sein. Allerdings ist das kooperative Selbstbewusstsein unserer Berufsgruppe noch ausbaufähig. Eines der wichtigsten Punkte dabei ist, die mehr oder weniger ausgeprägte Wertschätzung gegenüber anderen Berufen oder sogar der eigenen Person. Wir können mit Sicherheit eine Menge selbst dafür tun! Aber wie schwer ist es mit einem angekratzten Selbstwertgefühl überhaupt richtig seinen Beruf ausüben zu können? In meiner recht langen Berufszeit als Krankenpfleger musste ich echt daran arbeiten. Mit Sicherheit war ich nicht immer ein einfacher Kollege. Aber ehrlich und dann gab es immer wieder Menschen auf meinem Berufsweg, die mich durch ihr Vorbild regelrecht umkrempelten. Es ist wichtig, dass wir alle Kollegen in unserem Beruf achten. Es ist vollkommen unangebracht, wenn wir uns durch Hahnenkämpfe so sehr beharken, dass eine echte berufliche Kollegialität überhaupt nicht entstehen kann. Es gibt immer die Möglichkeit sich zu entscheiden, andere Wege zu gehen. Aber wir sollten darauf achten, dass man sich im Leben womöglich nochmals begegnet. Immerhin sind wir in unserem Beruf echte Multi- teamplayer. So gesehen, wenn wir uns selbst mehr achten, werden wir auch unsere Berufskollegen achten, schätzen lernen.


Die Welt hat sich mehrfach verändert und heute ist Pflege eine um forschte, standardisierte und zertifizierte Tätigkeit. Auch schon deshalb arbeiten in den pflegenden Berufen qualitativ hoch ausgebildete Fachleute mit dem dazu entsprechenden Verantwortungsrahmen. Wenn in unserem Beruf etwas schief läuft, dann hat dies immer etwas mit dem Leben zu tun. Es ist durchgängig kaum anders, als das wir immer zu wenig Personal hatten und haben. Es kommt dann auf das Team und die entsprechenden Bewohner oder Patienten an, wie wir damit klar kommen. Heute jedoch können wir bei den mehrst multimorbiden in sich immer spezieller werdenden Pflegeabläufen keine Personalressourcen mehr nutzen. Mehr Schwerstpflege mit mehr demenziellen Abbauprozessen bis hin zur gerontopsychiatrischen Pflegebildern, verlangen nach mehr geeignetem, gut ausgebildeten und motivierten Mitarbeitern. Wir können nicht mehr so tun als würden wir das schon schaffen! Die Grenzen sind seit Jahren überschritten und nun stehen wir mit dem überaus großen Bedarf an Pflege und Betreuung vor echten Problemen.


Heute mit den wahrhaft heftigen Dokumentationen, den rechtsverbindlichen Vorschriften, verbrauchen wir viel zu viel Zeit für diese Dinge. Wo bleibt die eigentliche Zeit für die umfassende Pflege? Können wir wirklich in 12 Minuten eine Grundpflege mit allen Vor- und Nachbereitungen durchführen? Die Grenze der unverantwortlichen Überforderung in unserem Beruf ist schon längst überschritten. Jetzt muss gehandelt werden, ansonsten haben wir genügend Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, aber kein Pflegepersonal mehr. Wie sehr gute Pflege mit einem ausreichenden Personalstand zu tun hat, wissen wir nicht erst seit Günter Wallraff!


Insellösungen mit hervorragenden Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal gibt es auch in Deutschland. Sie sind nur als Rarität zu bezeichnen und haben in der Regel entweder entsprechende Investoren, Ideologien oder Stiftungen im Rücken. In der sogenannten „Regelversorgung“ sind diese Einrichtungen jedoch kaum auffindbar.


Bei aller Not in den Krankenhäusern und Altenhilfeeinrichtungen gibt es dann doch noch Gewinner! Wo sonst sind Renditen für die Investoren im Gesundheitssystem von bis zu 7,5 % möglich? Auch gibt es börsennotierte Unternehmen mit Renditen um die 12 %. Geht dies zum Geschäft mit der Not? Geld scheint dann doch vorhanden zu sein! Wie viel kommt davon bei den Mitarbeitern an, die die eigentliche pflegende Arbeit am Patienten und Bewohner leisten?


Unser Staat zog sich in den letzten Jahren immer mehr aus dieser Verantwortung. Viel zu lange wurden die Probleme in der Pflege aus gesessen! Immerhin sollen jetzt wenigstens 8.000 neue Planstellen zusätzlich geschaffen werden. (Sofortprogramm in der Pflege Gesundheitsminister Jens Spahn plant jetzt sogar mindestens 13.000 neue Stellen) Auch soll die Pflege generell besser bezahlt werden. Gute Ansätze, aber wo kommen die ganzen Menschen her, die wir in der Pflege benötigen um eine gute Pflege und Betreuung zu leisten? Mit Sicherheit nicht nur ein guter Ansatz, dass die selbst zu finanzierenden Ausbildungskosten nun generell in der Altenpflege abgeschafft wurden. Mit Mut und Geduld  geht es mit der Pflege vorwärts? Eigentlich hatten wir dies immer; denn ohne Mut ging schon lange nichts mehr. Dann ist es auch nie zu spät einen neuen Anfang zu wagen. 


Gesundheitsminister Span vermittelt mehr und mehr den Eindruck, dass er weiß worüber er so offen spricht und sich schonungslos informiert. Vielleicht merkt er auch, dass es nicht einfach ist mal schnell zumindest 8.000 neue fachliche Mitarbeiter einzustellen. Auch mit den Ruheständlern und Teilzeitbeschäftigten passt es nicht so ganz; denn wer in unserem Beruf wirklich das Rentenalter erreicht, ist in der Regel schon ziemlich mit seinen physischen Kräften ausgepowert. Helfen können wir „alten fachlichen Mitarbeiter“ schon! Aber so ganz und gar ein ziemlich marodes System zu stützen, gelingt das wirklich? Mit dem Reservoir der Teilzeitmitarbeiter lässt sich schon was machen. Wo bleiben aber die echten Anreize? Die Lösungsansätze können nur in der Summe zum Erfolg führen. Es ist viel mehr zu tun als nur neue Mitarbeiter finden zu wollen! Aber Herr Span hat das Zeug zu einem echten Helden! An seinen Taten werden wir ihn messen! Aber ehrlich, gab es schon mal einen so aufrichtigen, offenen Gesundheitsminister? Hoffentlich wird er nicht im politischen Kampf unterliegen? Ich kenne eine Menge Kollegen, wir alle hoffen sehr, und wünschen Herrn Span eine glückliche Hand!

Es ist alles bekannt und gesagt! Wir kommen nicht mehr daran vorbei, unsere Politik muss jetzt handeln! Ob sich die Lage in den nächsten Jahren mit mehr Lohn, besseren Stellenschlüssel wirklich ändern kann, müssen wir abwarten? Unser Beruf ist in der heutigen Form schon lange nicht mehr zeitgemäß. Unser Wissen, Können mit den langen, guten Erfahrungen, lassen uns auch nicht immer offiziell so arbeiten, wie wir eigentlich könnten. Unsere berufliche Eigenständigkeit, die damit machbare Verantwortung könnten Berufs-rechtspolitisch schon ausgebaut werden! Aber auch für diese Möglichkeiten brauchen wir viele, viele, ganz viele neue Kollegen.

 

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